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Norman John wuchtet eine alte Kommode in das ZAH-Fahrzeug, auf dessen Ladefläche das Möbelstück zusammen mit vielen anderen umgehend zermalmt wird. In diesem konkreten Fall arbeitet John mit seinem Kollegen Marco Heckel auf einem Privatgrundstück – mit ausdrücklicher Genehmigung des Grundeigentümers. Sonst ginge das nicht. FOTO: CLEMENS HEIDRICH
Von Tarek Abu Ajamieh
Die ältere Dame aus Ochtersum ist empört. Wieder einmal haben Unbekannte am Wochenende Sperrmüll auf dem Grundstück an der Theodor-Storm- Straße abgestellt. Die Frau wohnt dort in einem der Mehrfamilienhäuser, zu denen das Areal gehört. „Das ist bestimmt das fünfte oder sechste Mal in den vergangenen zwei, drei Jahren“, klagt die Frau, „mindestens“. Dabei sei sie doch vor einigen Jahren nach Ochtersum gezogen, weil sie den Stadtteil als schön und sauber in Erinnerung gehabt habe.
Was die Ochtersumerin vor ihrer eigenen Haustür wahrnimmt, ist mehr als ein Gefühl. Das steht für Jens Krüger, den Geschäftsführer des Zweckverbandes Abfallwirtschaft Hildesheim (ZAH), fest: „Wir müssen leider verstärkt feststellen, dass Leute ungeordnet und unangemeldet ihren Sperrmüll irgendwo abstellen“, sagt Krüger. „Bestimmt einmal pro Woche, vielleicht auch öfter“ müssten seine Mitarbeiter inzwischen ausrücken, um illegale Müllhalden zu beseitigen. „Das ist mehr als vor einigen Jahren.“ Was ebenfalls immer häufiger vorkomme: „Jemand meldet ganz ordentlich seinen Sperrmüll an und stellt ihn zum vereinbarten Termin raus – und dann stellt jemand anders noch alles Mögliche dazu, so dass die erlaubte Menge überschritten wird.“ Und dann beginnt meist der Ärger.
▶ Wie es sein sollte:
Wer alte Möbel und Ähnliches loswerden will, kann eine kostenlose Sperrmüll-Abholung beim ZAH bestellen. Diesen Service darf jeder Haushalt zweimal im Jahr nutzen, die Abholmenge soll drei Kubikmeter nicht überschreiten. Wer das auf der Homepage des ZAH beantragt, soll dabei auch angeben, um was für Gegenstände es sich handelt.
Ist angesichts der eingetragenen Gesamtmenge wahrscheinlich, dass es mehr als drei Kubikmeter werden, gibt es eine automatische Warnung aus dem System. Bürger können Wunschtermine angeben, im Schnitt braucht der Abfallverband zwei Wochen Vorlaufzeit, um seine Touren möglichst effizient zu planen.
▶ Wenn es wirklich zu viel ist
Die ZAH-Mitarbeiter sind geübt darin, drei Kubikmeter abzuschätzen. „Drei Meter breit, einen Meter hoch, einen Meter tief – das kann man ganz gut erkennen“, sagt Müllwerker Norman John. In der Praxis sind die ZAH-Leute durchaus kulant. „Aber wenn das dann fünf oder mehr Kubikmeter sind, hört es natürlich auf“, sagt Geschäftsführer Krüger. „Wir machen dann Fotos, um zu dokumentieren, wie groß die Menge war“, ergänzt John. Dann bleibt ein Teil des Sperrmülls stehen.
▶ Und dann?
Es ist eine der häufigeren Diskussionen, die ZAH-Mitarbeiter am Telefon führen müssen. Es stand zu viel Sperrmüll an der Straße, die Kollegen haben nicht alles abgeholt. „Dann schimpfen die Leute oft, es sei doch nicht ihre Schuld, wenn jemand anders einfach Sperrmüll dazugestellt habe“, schildert ZAH-Geschäftsführer Jens Krüger. „Wir müssen dann sagen: Unsere Schuld ist es auch nicht.“
Der Betroffene hat dann drei Möglichkeiten: Er bestellt erneut eine Sperrmüll-Abholung – das kann dann zwei Wochen dauern. Er bringt den Rest selbst zum Wertstoffhof. Oder er lässt ihn einfach stehen.
▶ Wem der Sperrmüll gehört
Letzteres ist die Variante, die dem Betroffenen und seinen Nachbarn am wenigsten gefallen dürfte – schließlich steht das Zeug dann weiter vor dem Haus rum. Doch rein rechtlich ist der Fall nun ziemlich diffizil. Denn wer Sperrmüll abholen lassen will, muss ihn auf öffentlichem Grund und Boden abstellen, also in aller Regel auf dem Gehweg. „Unsere Mitarbeiter dürften nicht auf Privatgrundstücke, wenn es nicht ausdrücklich vereinbart oder vom Grundeigentümer an Ort und Stelle erlaubt wird“, sagt Krüger. Was zum Beispiel in der Hofeinfahrt stehe, sei Eigentum des Anwohners – dieses mitzunehmen, streng genommen Diebstahl.
Stehen Tische, Stühle, Kühlschrank und Co. hingegen auf dem Gehweg, sind sie technisch gesehen Eigentum der jeweiligen Stadt oder Gemeinde, bis der ZAH sie aufgrund der Vereinbarung mit dem Vorbesitzer einsammelt und damit selbst in Besitz nimmt. Bleibt also Sperrmüll auf dem Gehweg stehen, muss sich letztlich die Kommune um die Entsorgung kümmern – wenn sie den Verursacher nicht finden kann. Und das muss nicht automatisch derjenige sein, der den Sperrmüll auch bestellt hatte und der nebenan wohnt – weil eben immer öfter Dritte ihren Unrat dazustellen.
▶ Und auf Privatgrund?
Steht der Sperrmüll hingegen auf privatem Grund und Boden, ist die Kommune nicht verantwortlich – sondern der Eigentümer der Fläche. So wie im jüngsten Fall in Ochtersum. Dann muss der Grundbesitzer selbst den ZAH mit der Abfuhr beauftragen und die natürlich auch bezahlen. 200 bis 300 Euro werden dafür laut ZAH-Geschäftsführer Krüger im Schnitt fällig.
▶ Zahlen Mieter die Zeche?
Die Ochtersumerin berichtet, dass in ihrem Fall die Kosten für die Entsorgung des illegal auf dem Grundstück rund um die Mehrfamilienhäuser abgestellten Sperrmülls auf die Mieter umgelegt worden seien. 24 Mieter gibt es, die Kosten für den Einzelnen sind überschaubar – aber dennoch ärgerlich. „Das kann doch eigentlich nicht sein, ich habe doch diesen Sperrmüll nicht zu verantworten“, klagt die Frau. „Sicher, der Hauseigentümer kann auch nichts dafür, aber trotzdem …“
„Das ist schwer zu akzeptieren“, sagt Volker Spieth, Geschäftsführer des Mietervereins Hildesheim. Doch auch bei ihm folgt ein „Aber trotzdem“: Es gebe ein Urteil des Bundesgerichtshofes aus dem Jahr 2010, dass es Vermietern tatsächlich erlaube, Kosten für die Entsorgung herrenlosen Unrats auf ihrem Grundstück auf Mieter umzulegen. „Das muss regelmäßig nötig werden, und der Grundeigentümer muss Präventivmaßnahmen nachweisen, zum Beispiel Verbotsschilder oder dergleichen“, berichtet Spieth. „Aber dann hat der Vermieter vor Gericht gute Chancen.“
Dem Deutschen Mieterbund sei das zwar ein Dorn im Auge: Betriebskosten müssten aus einer Sicht „durch den bestimmungsgemäßen Gebrauch des Objektes“ entstehen, da gehört wilder Sperrmüll aus Sicht des Verbandes nicht dazu. „Aber es ist aktuell die geltende Rechtslage“, bedauert Spieth.
▶ Ein gesellschaftliches Problem
Würde sich jeder an die Regeln halten, müssten diese Fragen gar nicht erst erörtert werden. ZAH-Chef Krüger hadert auch damit: „Man kann die Abholung zum Wunschtermin kostenlos bestellen, mehr Service geht doch kaum.“ Doch offenbar entwickelten immer mehr Menschen eine Egal-Mentalität, oder es ist einfach Unwissenheit. „Nach dem Motto: Irgendwer holt es schon ab, ist doch nicht mein Problem. Die Kosten trägt dann die Allgemeinheit.“
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„Selbst Firmen laden ihren Sperrmüll teilweise ungeordnet und ohne Anmeldung ab.“
Jens Krüger, ZAH-Chef
Gerade in Gegenden mit vielen Mehrfamilienhäusern werde das Problem immer größer. „Die Nordstadt ist leider ein besonderes Sorgenkind, da bringen viele ihren Sperrmüll einfach zu den Container- Standplätzen.“ Aber auch aus anderen Stadtteilen wie Ochtersum höre er so etwas immer öfter. „Die soziale Kontrolle ist nicht mehr so da wie früher.“
IN ZAHLEN
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Fahrzeuge schickt der ZAH jeweils auf Sperrmüll-Tour. Eins, auf dem Betten, Stühle, Tische und anderer Sperrmüll zermalmt werden, um möglichst wenig Platz wegzunehmen, dazu einen Transporter für Kühlschränke, Waschmaschinen und andere große Elektrogeräte.
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Sperrmüll-Abholungen am Tag schaffen geübte ZAH-Mitarbeiter wie Norman John und Marco Heckel in der Spitze. „Das sind echte Alltagshelden“, lobte gestern ein Hildesheimer Hausbesitzer, dessen Hof das Duo binnen weniger Minuten von jeder Menge Sperrmüll befreit hatte.
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Tonnen Sperrmüll sammelte der ZAH im Jahr 2017 im Landkreis Hildesheim. Das waren mehr als 2500 Tonnen mehr als im Jahr davor und ein Rekordwert.
Was ist eigentlich Sperrmüll – und was nicht?
„Sperrmüll ist alles das, was man bei einem Umzug aus der Wohnung mitnehmen würde“, heißt es auf der Homepage des Zweckverbandes Abfallwirtschaft Hildesheim (ZAH). „Zum Beispiel Möbel, wie Sofas, Betten, Schränke und so weiter.“ Entgegen einer weit verbreiteten Annahme gehören Türen oder Heizkörper nicht in den Sperrmüll. Eine Orientierung bieten die Bestellkarten sowie das Bestellformular im Internet. Dort können Bürger angeben, welche Gegenstände sie in welcher Menge an die Straße stellen wollen. Ist etwas dort nicht aufgeführt, kann das bereits heißen, dass es auch gar nicht in den Sperrmüll gehört. Auf seiner Homepage bietet der ZAH dazu Sortierhilfen und Informationen. Telefonisch ist der Verband unter 0 50 64 / 905-0 zu erreichen.
Quelle: Hildesheimer Allgemeine Zeitung, 13. März 2019