Von Viktoria Hübner
SARSTEDT. Aus zwei mach’ eins: Nachdem die Kreiswohnbau Hildesheim den Nachbarschaftstreff am Kipphut zum Jahresende 2014 unter Protest geschlossen hat, feierte die kommunale Baugesellschaft nun die Zusammenführung der einstigen Einrichtung mit dem Mietertreff im Argentum Am Ried. Rund 40 Mieter der Kreiswohnbau und Gäste wie Bürgermeisterin Heike Brennecke und SPD-Fraktionschef Klaus Bruer waren der Einladung gefolgt, doch nur wenige Bewohner des Kipphuts kamen vorbei. Obwohl nur etwa 800 Meter zwischen den beiden Standorten liegen, schreckt der Weg doch einige ab. Findet zumindest Charlotte Hundt.
Die 78-Jährige gehörte dem Nachbarschaftstreff am Kipphut an, organisierte unter anderem regelmäßige Frühstückstreffen, Bingo-Nachmittage und Ausflüge. „Das war dort oben eine schöne Gemeinschaft“, schwärmt Hundt immer noch. Zwölf bis 15 Personen gehörten seinerzeit dem harten Kern an, der immer zusammenkam – und nicht nur Mieter der Kreiswohnbau. Denn damals wie heute sollen die Treffpunkte allen Menschen aus dem Viertel offenstehen. So sieht es das Konzept der Kreiswohnbau vor. Eben Nachbarschaftspflege. Den neuen Treff im Argentum besuchen mittlerweile aber nur noch sechs Frauen und Männer aus dem Kipphut-Quartier.
Denn es ist etwas anderes, wenn die Bewohner der Hochhäuser am Kipphut erst einen strammen Fußweg zurücklegen müssen, um zusammenzukommen, als einfach nur ins Erdgeschoss des eigenen Domizils zu marschieren, sagt Hundt. So seien einige Mieter etwa auf Rollatoren angewiesen. Kreiswohnbau-Geschäftsführer Matthias Kaufmann hatte Ende vergangenen Jahres einen Busdienst in Aussicht gestellt (der Sarstedter Anzeiger berichtete). Diesen gibt es bislang noch nicht, sagt Ute Hoppe von der Kreiswohnbau. „Wenn die Nachfrage aber da ist, kriegen wir das auch geregelt.“
Andere wiederum scheuen sich vor dem neuen Treffpunkt aufgrund sprachlicher Barrieren, erklärt Hundt. „Auf dem Kipphut wohnen auch russischsprachige Menschen, die wegen sprachlicher Defizite eine Hemmschwelle haben.“ Dabei müsste das eigentlich nicht sein. „Wir sind herzlich empfangen worden“, berichtet Hella Reichardt. Die 75-Jährige gehört zur Kipphut-Delegation. Von Distanz könne sie nicht sprechen. Dabei war sie – wie auch Charlotte Hundt – „eigentlich stocksauer“, dass ihr Treffpunkt am Kipphut geschlossen wurde. Dass der Standort eigentlich nur vorübergehend von der Kreiswohnbau geplant gewesen sei, wie Kaufmann betonte, sei ihnen nicht bewusst gewesen. Deshalb schworen sie sich anfangs: „Ins Argentum? Da gehen wir nicht hin.“ Doch letztlich gaben die beiden Seniorinnen der neuen Einrichtung eine Chance. „Wir haben uns ganz gut eingelebt“, resümiert Hundt. Mittlerweile übernimmt sie auch wieder wie früher die Programmgestaltung mit. Auch Bürgermeisterin Heike Brennecke sprach das Thema in ihrer Begrüßungsrede an: „Der eine oder andere bedauert sicherlich die Schließung des Nachbarschaftstreffs am Kipphut, aber ich hoffe, dass alle die neue Situation akzeptieren können.“ Sie wünsche sich ein „buntes Multi-Kulti“ aus Mietern aller Bevölkerungsschichten und deren Nachbarn noch dazu. Für den laufenden Betrieb im Nachbarschaftstreff am Ried ist Katharina Boemke-Szamocki von der Johanniter-Unfall-Hilfe (JUH) verantwortlich. Im aktuellen Programm stehen Veranstaltungen wie eine Kaffee– und Klönrunde, Gedächtnistraining, der Besuch des Heimat-Museums, Spielabende sowie Sport-, Musik-, Koch– und Frühstücksevents. Den Kipphut-Treff betrieb die Kreiswohnbau noch gemeinsam mit der Caritas. „Wir haben mit der Caritas und den Johannitern verhandelt, aber wir kamen dieses Mal mit der Caritas nicht auf einen Nenner“, erklärt Ute Hoppe. Der Vorteil bei den Johannitern sei außerdem, dass sie im Argentum die technische Betreuung mit dem AAL-System (Ambient Assisted Living = selbstbestimmtes Leben durch innovative Technik) bereits übernommen haben. Gemeinsam mit der Deutschen Telekom AG betreiben sie diese moderne Kommunikations– und Dienstleistungsplattform. „Da ist es doch sinnvoll, die Aufgabe gleich an die Johanniter mit zu übergeben.“
Momentan ist das Argentum komplett belegt, 33 Bewohner leben dort in den 25 Wohnungen. „Eine Gemeinschaft zu haben, ist den Menschen sehr wichtig“, sagt Leiterin Boemke-Szamocki. So sei ein Mieter nach dem Tod seiner Frau viel schneller ins Leben zurückgekommen. Auch Kreiswohnbau-Chef Kaufmann betont den Nutzen der Einrichtung inklusive Nachbarschaftstreff: „Wer sich kennt, fühlt sich auch sicherer.“ Den Gästen spendierte die Kreiswohnbau einen kostenlosen Grill-Nachmittag mit der Catering-Firma Butschies, den Hoppe organisiert hatte. Damit löste Kaufmann sein Versprechen ein, ein Fest zugeben, wenn der neue Nachbarschaftstreff steht. Um Geld ging es nur hinsichtlich des guten Zwecks: So sammelten die Anwesenden für die Hinterbliebenen des tragischen Quadunfalls in Itzum, bei dem ein 42-jähriger Vater und sein zehnjähriger Sohn ihr Leben lassen mussten.
Quelle: Sarstedter Anzeiger der Hildesheimer Allgemeinen Zeitung, 25. Juli 2015